Ein Künstler strandet auf der Insel, utopische Ideale oder zivilisatorisches Erwachen als Antrieb: Banane und Sonnenuntergang, Ölsardine und Industrie. Ein altes Bild, das für die Ausstellung Canary Comfortable. Special Island Issue nicht mehr stimmt. Thomas Jeppe und Garrett Nelson setzen an zum Befreiungsschlag aus gängigen Erkenntnis- und Befragungsmuster. Austragungsort sind die Kanarischen Inseln – komfortabel kunstgerecht. Dem neoliberalen Positivismus, einem klaren Bejahen und Verneinen mit bedingter Wahl, stellen sie ihr Abstract Journalism und Abstract Criticism entgegen. Mit dem spekulativen Ansatz partizipieren die Künstler an einem hochaktuellen Trend in der Philosophie und Kunst: Das kantische Objekt-Subjekt-Verhältnis – das wahrnehmende Subjekt erkennt das Objekt – zerfällt; zelebriert wird eine kreative Unabhängigkeit im Dazwischen, sowohl von Seiten des Subjekts als auch des Objekts.
Garrett Nelson (*1982, USA) nutzt die Inselmetapher einerseits, um einen Ausweg aus der gegenwärtigen Kritikpraxis zu skizzieren. Andererseits beschäftigt ihn die Ästhetik von Subjekt, Objekt und Ort: Wasser, Vulkansand, Haut, Bananen werden als Skulptur, Fotografie oder digitale Zeichnung in ihrer Materialität befragt, sind aber auch Teil des Verweissystems Insel. Das Heft Special Island Issue beinhaltet, neben Tagebucheinträgen aus den Kanarischen Inseln, Ausführungen zu Abstract Criticism und Socially Performative Criticism. Die vom Künstler eingeführten Begriffe sind komplex, teilweise überschneidend und offen. Beide stammen aus Garrett Nelsons Evaluation der Kritikkultur, die sich in einer narrativen Belanglosigkeit verfangen hat. Nelson schlägt mit Abstract Criticism den Weg in die Abstraktion vor. Kunst und Kritik sollen in der spekulativen Sphäre eine Komplizenschaft eingehen, unabhängig und abstrakt. Socially Performative Criticism ist ein Vorschlag für die Begegnung mit Kunst: In Ergänzung zu den vorherrschenden binären Strukturen „erwähnt“ und „nicht-erwähnt“ oder „geliked“ und „nichtig“ tritt ein mündliches und performatives Kritikverhalten, das zeit-, ort- und autorunabhängig ist. Das binäre System wird begünstigt durch das Internet, wobei Technische Fortschritte feste Strukturen gleichzeitig wieder aufheben. Beispielsweise lässt sich der Körper optimieren, durch Technik ergänzen und virtuell vervielfachen. Nelson fragt, wo der Unterschied zwischen Hülle und Inhalt ist und führt den BetrachterInnen eine Denkcollage vor: „Haut ist Haut, Schleifpapier ist Haut, Schleifpapier ist Schleifpapier“ – Repräsentation gibt es nicht.
Geleitet von einer Sardinenbüchse der Marke Pan Do Mar, zuvor geöffnet im deutschen Appartement, führt Thomas Jeppe (*1984, AUS) die BetrachterInnen mithilfe seines Abstract Journalism in den Social Realism. Pan Do Mar war einst ein nachhaltig produziertes Produkt des kanarischen Fischerdörfchens Corralejo. Heute triumphieren an jenem Ort die Touristenindustrie und die Immobilienspekulanten. Wo bleibt der Social Realism, fragt Jeppe und setzt an die Leerstelle eine neue Interpretation: Social Realism ist Index für eine höhere „Wahrheit“, die weder eintritt noch lokalisiert werden kann. Ein Zustand, an den wir glauben können, sich aber nur in der Vagheit und Allegorie eröffnet. Sein Schlüssel dazu ist der Abstract Journalism, irgendwo auffindbar zwischen persönlichen Empfindungen und ernsthaften Recherchen. Jeppe glaubt, dass Abweichungen in der Beschreibung von kulturellen Situationen effizienter sind als Fakten. Abstract Journalism soll in Kombination mit Bildwelten eine Gestalt vom Kontext abstrahieren, eine driftende Klarheit zwischen Bedeutung, Zweck und Möglichkeit schaffen. Die Verwirrung ,„lost in connotation“, lässt Heterogenität zu, während Bestimmtheit sich der Vielfalt verschliesst. Der Künstler fordert zur phantastischen Reflektion auf, ausgehend von einer gelebten, alltäglichen Struktur: Seaside Vernacular , Social – Realism – Now, und zeigt uns dazu Fotografien aus Fuerteventura, kanarische Ölsardinen, Malereien von Gesteinen, die einen Hauszaun in Corralejo dekorieren (mit Amateurgrafitti, entnommen von benachbarten gescheiterten Immobilien) sowie sein Manifesto Abstract Journalism und die Ausführung zu Social Realism.
Die poetischen Lösungen des Abstract Journalism und Abstract Criticism möchten sich spielerisch von Dogmen befreien, Passion zum Antrieb: Canary Comfortable. Special Island Issue. Der Karibische Horizont öffnet sich noch bis zum 28.9.2014 an der Sihlhallenstrasse 4.
Salome Hohl